Als Theodore Roosevelt sich 1912 im Endspurt seiner Präsidentschaftskandidatur befand, reiste er quer durch die USA und hielt Reden. Sein Wahlkampfteam ließ drei Millionen Broschüren mit seinem Redetext drucken, die bei den Veranstaltungen verteilt werden sollten. Auf dem Cover war ein präsidiales Foto Roosevelts zu sehen. Kurz vor Beginn der Reise fiel einem Mitarbeiter des Wahlkampfteams ein Schriftzug auf dem Bild auf: ‘Moffet Studios Chicago’. Und tatsächlich: George Moffet hielt die Rechte an dem Bild. Sollten sie die Broschüren dennoch verteilen, könnte er einen Dollar pro unauthorisierter Kopie des Bildes verlangen, insgesamt also die für damals astronomische Summe von drei Millionen Dollar, die Roosevelts Wahlkampfkasse gesprengt hätte. Was tun? Ohne die Broschüre setzten sie die Präsidentschaft aufs Spiel. Verwendeten sie die Broschüre, liefen sie Gefahr, dass es einen Skandal gäbe und sie ruiniert wären. Moffet, so schien es, hielt alle Macht in seinen Händen – auch wenn er von der Situation noch gar nicht wusste.
Macht zu verstehen und – trotz widrigster Umstände – zu Ihren Gunsten zu steuern, ist der Kern jeder Verhandlung.
Es ist ein weit verbreitetes Gefühl unter Verhandlern, die andere Partei für mächtiger zu halten als sich selbst. Denn sie sehen ihre Zwänge, Ängste und Fristen klar vor Augen sehen, nicht aber die des Gegenübers, der scheinbar sorglos auf seinem Sessel sitzt. Der Vertrieb betrachtet den Einkauf als die große Macht, der Einkauf hingegen wähnt alle Macht bei den Zulieferern. Gewerkschaftler sehen in den Managern die geballte Macht des Kapitals, die Unternehmensführung wiederum sieht sie bei den Arbeitnehmern. Verkäufer sind besessen von der Macht der Käufer und der der Konkurrenz. Sie fokussieren sich auf ihre Schwächen und glauben den Käufern bereitwillig, wenn diese von der Konkurrenz schwärmen.
Aber niemand bietet genau das, was Sie bieten. Machen Sie sich die Einzigartigkeit Ihres Verhandlungsgegenstands bewusst. Häufig unterliegen Einkäufer Vorgaben aus dem Unternehmen: Spezialisten können angeblich nur mit Ihrem Produkt arbeiten, ganz egal, ob es teurer ist als das der Konkurrenz.
Wenn Sie zu Ihrem Chef gehen, um eine Gehaltserhöhung auszuhandeln, dann denken Sie sich, dass es sicherlich Tausende gäbe, die Ihren Job gerne machen würden.
Der Vorgesetzte aber hat Angst, Sie zu verlieren und fragt sich, wie er Sie gleichzeitig zufrieden stellen und sein Budget einhalten kann.
Zurück zu Roosevelt. Wie wollte das Problem gelöst werden? Die Wahlkampfmannschaft ging zu Kampagnenchef George Perkins, seines Zeichens Eisenbahnmagnat und Partner des Bankhauses J. P. Morgan.. Dieser fackelte nicht lange und ließ umgehend ein Telegramm an Moffet schicken: “Wir planen, Millionen von Broschüren mit Roosevelts Bild auf dem Cover zu verteilen. Es wäre großartige Werbung für das Fotostudio, dessen Bild wir nehmen. Wie viel zahlen Sie uns, damit wir Ihres verwenden?” Die Antwort kam prompt: “Wir haben das noch nie gemacht, aber unter diesen Umständen freuen wir uns, Ihnen 250 Dollar zu bieten.” Obwohl er sicherlich wusste, dass er noch ein paar Hunderter mehr hätte rausschlagen können, nahm Perkins an. Und Moffet? Er hätte bestimmt viele Tausend Dollar bekommen können, erhielt aber immerhin die Werbung seines Lebens.
Selbst in scheinbar ausweglosen Situationen können Sie also Ihre Macht oder zumindest die Wahrnehmung Ihrer Macht erhöhen. Wer hat also die Macht? – Sie, wenn Ihr Gegenüber davon überzeugt ist!
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